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Philosophische Anthropologie

Seit den 1990er Jahren kommt es zu einer Renaissance der »Philosophischen Anthropologie«. Wenn man sich der kognitiven Ressourcen des philosophisch-anthropologischen Denkens vergewissern will, kann es sinnvoll sein, sich zu den 1920er Jahren der deutschen Philosophie zurückzubeugen und zwei philosophische Vorkommnisse zu unterscheiden: Die Herausbildung der »Philosophischen Anthropologie« im engeren Sinn, dem spezifischen Ansatz der Philosophen Max Scheler, Helmuth Plessner und Arnold Gehlen und deren Umfeld (Karl Löwith, Erich Rothacker, der Biologe Adolf Portmann) sowie den biologischen Autoren im Vorfeld (Hans Driesch, Henri Bergson, Jakob von Uexküll, Paul Alsberg). Andererseits etabliert sich die philosophische Subdisziplin »philosophische Anthropologie«, an der verschiedene Wissenschaften und Ansätze beteiligt sind.
Die website [Philosophische Anthropologie] folgt dieser Differenzierung, dem Doppelpotential der deutschen Philosophie der 1920er Jahre. Ihr Interesse gilt insbesondere dem Denkansatz »Philosophische Anthropologie«: dem Werk von Max Scheler, Helmuth Plessner, Arnold Gehlen.


I. Der Denkansatz »Philosophische Anthropologie«

»Philosophische Anthropologie« im ersten Sinn wäre als ein Denkansatz im 20. Jahrhundert zu verstehen, zu dem sich so verschiedene Denker wie Max Scheler, Helmuth Plessner, Arnold Gehlen gerechnet haben bzw. zu dem sie in der Philosophiegeschichtsschreibung gezählt werden. Zu dieser Denkergruppe wären zudem Paul Alsberg (als Vorläufer), F.J.J. Buytendijk und Erich Rothacker zu zählen, etwas später Adolf Portmann und Dieter Claessens wie auch in mancher Hinsicht Peter Sloterdijk.
Diese Denkergruppe steckt voller Differenzen und Rivalitäten, so dass die Zurechnung teilweise umstritten ist, und es immer einen Unterschied macht, ob man den Denkansatz Philosophische Anthropologie von Scheler, Plessner oder Gehlen aus denkt. Es gibt plausible Gründe, die philosophischen Differenzen zwischen den Autoren zu markieren; andererseits hat es sich eingebürgert, textdurchgreifend unter dem Titel
»Philosophische Anthropologie« zwischen diesen Denkern Gemeinsamkeiten (eventuell sogar ein Theorieprogramm) zu erkennen, über deren Spezifik sich die genannten Denker und Forscher identifiziert haben könnten und über die sie sich gemeinsam von anderen zeitgenössischen oder späteren Ansätzen der Philosophie unterscheiden könnten – etwa dem Neukantianismus, der Phänomenologie, der hermeneutischen Philosophie, dem sprachanalytischen Ansatz, der Existenzphilosophie, naturalistischen Theorien oder dem Poststrukturalismus.
Innerhalb der Philosophie haben die genannten Denker sich seit den 1920er Jahren den Herausforderungen der Moderne zu stellen versucht, und zwar sowohl der Moderne in Gestalt der empirischen Wissenschaften (vor allem der Biologie, aber auch der Ethnologie), wie auch der Moderne in ihrer als krisenhaft erfahrenen öffentlich-politischen Verfasstheit.
Dabei haben sie unikate Kategorien und Theoreme der Verschränkung von Körperlichkeit, Psyche, Kultur und Sozialität entwickelt, von denen Plessners Kategorie der
»exzentrischen Positionalität« nur die prominenteste ist. Ein Theorieverbindung dieser Denkergruppe liegt darin, dass das reflexive Sicheinlassen auf die »Natur«, auf das Organische des Menschen keine naturalistische Niveausenkung bedeutet, sondern gerade die Spezifik des Menschen fundierter als bisher aufweisen soll. Es lassen sich Parallelen zur amerikanischen pragmatischen Philosophie (James, Dewey, Mead) erkennen.

II. Die Disziplin philosophische Anthropologie

Unter »philosophische Anthropologie« im weiteren Sinn wäre die zeitgleich entstandene philosophische Disziplin zu verstehen, in der sich die Anthropologie neben und in Konkurrenz zu anderen Disziplinen der Philosophie (Metaphysik, Erkenntnistheorie, Ethik, Sprachphilosophie etc.) als eine zentrale philosophische Disziplin mit Bezug auf die anderen Teildisziplinen zu formieren versucht.

Diese
»philosophische Anthropologie« entfaltet sich in verschiedenen Dimensionen:

1. Bei dieser Ausbildung der philosophischen Anthropologie als einer philosophischen Disziplin sind zugleich verschiedene Bezugswissenschaften im Spiel, wie die Psychologie, die Ethnologie, Biologie, Soziologie, die Technikwissenschaft und die Kulturwissenschaften.

2. In dieser Disziplin
»philosophische Anthropologie« kreuzen sich von vornherein verschiedene Denksätze und Richtungen: Neben der »Philosophischen Anthropologie« im engeren Sinn Lebensphilosophie, Phänomenologie (v.a. die Leibphänomenologie), Kulturphilosophie, Strukturalismus, Historischer Materalismus etc.

3. Die philosophische Anthropologie als Disziplin zieht von vornherein eine Dauerkritik aus verschiedenen Richtungen auf sich: der Existenzphilosophie, der Kritischen Theorie, der sprachanalytischen Philosophie, dem Poststrukturalismus, der Systemtheorie, die die Möglichkeit und die Erschließungskraft einer philosophischen Anthropologie aus systematischen Argumenten heraus bestreiten.

4. Zur Disziplin philosophische Anthropologie gehört, dass sie ihre Eigengeschichte als Disziplingeschichte reflektiert und aufschreibt. Sie rekonstruiert eine Problemgeschichte philosophisch relevanter anthropologischer Fragen und begrifflicher Unterscheidungen. Sie entdeckt wichtige Bezugsautoren (Protagoras, Pico della Mirandola, Hobbes, Rousseau, Herder und Schiller, aber auch Feuerbach und Lotze etc.) innerhalb der europäischen Philosophiegeschichte. Sie rekonstruiert »Menschenbilder«,
implizite Anthropologien der Epochen und Kulturen.

Wenn man diese Unterscheidung zwischen »Philosophischer Anthropologie« im engeren Sinn (als Denkansatz oder Paradigma) und »philosophischer Anthropologie« im weiteren Sinn (als Disziplin) trifft, dann lässt sich sehen, dass unter neuen Herausforderungen die Renaissance des philosophisch-anthropologischen Denkens beide Diskurslinien wiederbelebt. Es kommt einerseits zur Revitalisierung und in verschiedenen Anläufen zu einer Rekonstruktion einer »Philosophischen Anthropologie« i.S. der Denkergruppe um Scheler, Plessner und Gehlen, und es kommt zweitens zu neuen Aufrissen und neuen Ansatzkombinationen innerhalb der Disziplin »philosophische Anthropologie«. Für die Renaissance der Philosophischen Anthropologie / philosophischen Anthropologie lässt sich eine Konstellation gleichzeitiger Herausforderungen vermuten, von denen mindestens vier erwähnt werden sollen: Das Avancement der Biologie, die mit der Entwicklung der Neurobiologie und der Genbiologie durch die organische Basis des Menschen dessen »Monopole« thematisch erreicht und durchdringt; die Entwicklung der Computertechnologie, die mit ihrer Modellierung der Kognitionen den menschlichen Geist partiell substituiert; die relative Abschwächung des linguistic turn; das Verblassen bestimmter geschichtsphilosophischer Projekte der Moderne.